Leben und Sterben in der Unterwelt
Der Boden ist nicht bloß die Erde unter unseren Füßen, sondern eine eigene Welt : In ihm und aus ihm wachsen unsere Lebensmittel, gleichzeitig ist er Lebensraum für eine unfassbare Menge an Kleinstlebewesen – was ihn zu einem Faktor für den Klimawandel macht. Was spielt sich da unterirdisch ab ?
![Das in blau gehaltene Bild zeigt eine kleine Auswahl an Bodenlebewesen, die u.a. für die Gesunderhaltung des Bodens von Bedeutung sind. Es werden stilisiert dargestellt eine Milbe, Einzeller, Tausendfüßler, Regenwurm, Springschwanz.](/static/d3d0e5beaa6ae571ffe98ee2aab4a106/e3d73/bodenlebewesen_blicke-magazin-zum-umweltbericht-land-noe.png)
Bakterien ? Die wollen wir heutzutage meistens entfernen, ob mit antibakteriellen Putzmitteln oder Antibiotika. Dabei begründeten Bakterien erdgeschichtlich unsere Welt und gestalten sie bis heute wesentlich mit, indem sie Lebenszyklen und Stoffwechsel am Laufen halten, die wir überhaupt nicht bemerken. Wie es dazu kam ?
Zuerst begeben wir uns auf eine Zeitreise : Denn Bakterien spielten wortwörtlich seit Anbeginn der Welt eine wichtige Rolle. Vor 2,5 Milliarden Jahren veränderten Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, von ihrem Lebensraum Wasser aus die Bedingungen auf der Erde. Sie „erfanden“ quasi die Photosynthese, nutzten also – ähnlich unseren heutigen Pflanzen – die Sonne als Energiequelle und hielten bzw. halten sich ( es gibt sie auch heute noch ) so am Leben. Das Abfallprodukt ihres Stoffwechsels : Sauerstoff. Den gaben sie an die Atmosphäre ab, die so unseren Planeten in eine Welt verwandelte, in der später Tier und Mensch atmen konnten.
Diese frühen Cyanobakterien geben einen Hinweis darauf, wie Systeme ineinander greifen – Systeme, die wir Menschen zwar als getrennt voneinander wahrnehmen, weil wir festen Boden, flüssige Flüsse und gasförmige Luft unterscheiden. In planetarischer Zusammenschau aber stehen diese Elemente in ständigem Austausch miteinander.
Ein wichtiger Partner in diesem Tauschsystem ist der Boden, und zwar die Permafrost-Böden Sibiriens genauso wie die blanke Erde nach Rodungen im Regenwald und die Äcker im Marchfeld. Man weiß mittlerweile, dass sich in einer Handvoll Gartenerde mehr winzigste Lebewesen tummeln, als Menschen jemals die Erde bevölkerten. Aber was diese Tiere – von Regenwurm bis Springschwanz –, Bakterien und Pilze so alles bewirken und wie sie damit das Leben im Untergrund beeinflussen, liegt tatsächlich noch weitgehend im Dunkeln. Dabei ist die Fruchtbarkeit unseres Bodens doch unser größter Schatz.
Gernot Bodner vom Department für Nutzpflanzenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur ( Boku ) Wien beschäftigt sich damit. Bodner ist Nutzpflanzenökologe und Gründungsmitglied des Vereins „Bodenleben“, in dem Landwirte sich eben zu diesem Thema austauschen und weiterbilden. Er erkannte in seiner wissenschaftlichen Arbeit immer wieder die Mikrobiologie als kritischen Faktor. Diese Kleinstlebewesen bedingen etwa den Humusgehalt eines Bodens, und umgekehrt. Ihre Bedeutung ist dabei erst wenig bekannt. Was spielt sich da also unterirdisch ab ?
1. Das nützliche Leben und Sterben in der Unterwelt
Der Boden ist einerseits Nutzfläche unserer Landwirtschaft – der Ort, an dem viele unserer Lebensmittel entstehen, andererseits auch Lebensraum für viele Klein- und Kleinstlebewesen. Es ist ein Zusammenleben von Bakterien und Pilzen, Tieren und Pflanzen. Die Wurzeln der Pflanzen liefern mit den von ihnen an die Umgebung abgegebenen organischen Substanzen, etwa Schleimstoffen, wichtiges Mikrobenfutter.
Die lebendigen Organismen machen im Boden nur 5 Prozent der organischen Substanz aus, spielen aber etwa für Nährstoffkreisläufe eine entscheidende Rolle. Enorm wichtig sind außerdem ihre Leichen. Abgestorbene Mikroben sind die bedeutendste Quelle von Dauerhumus. Wie durch eine „mikrobielle Kohlenstoffpumpe“ reichern sich ihre Überreste auf bis zu 80 Prozent des stabilen Humus an. In dieser Hinsicht hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, das heißt, die wissenschaftliche Meinung dazu hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich geändert : Früher sah man im Bodenleben eher nur den Motor des Abbaus von Humus zu CO2. Heute hingegen gilt das Bodenleben als wichtigste Grundlage für die Bildung von Dauerhumus.
Derzeit eine Preisfrage in den Wissenschaften : Welche Faktoren beeinflussen, wie lange CO2 im Boden gespeichert bleibt ?
2. Ihre Leichen speichern das, was keiner will
Der Boden ist ein enorm wichtiger Kohlenstoffspeicher : Die ( abgestorbenen ) organischen Anteile in ihm enthalten etwa drei Mal so viel Kohlenstoff wie die Atmosphäre oder alle Pflanzen und Bäume gemeinsam. Diese organischen Anteile im Boden heißen „Biomasse“. Im Prinzip handelt es sich dabei um die sterblichen Überreste alles Lebendigen ( eben auch die der Mikroorganismen selbst ). Pflanzen nehmen während der Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft auf. Sterben sie ab, verbleiben sie als tote Masse auf den Boden. Die liegt dort aber nicht nur herum, sondern wird von Bakterien und Pilzen abgebaut und zersetzt. Die so zerkleinerten Stücke treffen auf die Verwitterungsreste von Gesteinen im Boden. Mit ihnen verbinden sie sich zu Krümeln und bleiben darin als gespeichertes CO2 erhalten – mehr oder weniger lang. Andererseits dient genau dieses Material auch als Nährstoffquelle für die nächste Generation an Bakterien : Sie gewinnen daraus Energie, bauen Körpermasse auf und auch ihre Überreste kleben sich an die Oberflächen der feinen Bodenmineralteilchen.
Was nun genau die Faktoren sind und wie lange der Boden das Kohlendioxid hält, sind aktuell Preisfragen in der Wissenschaft, so Bodner. Es gibt Spielräume von wenigen Wochen bis zu Tausenden von Jahren. Jedenfalls ein Faktor ist die Temperatur : Bei Kälte sind die Mikroorganismen weniger aktiv und verarbeiten die Biomasse nicht so fleißig, geben also auch weniger Kohlenstoff an die Atmosphäre ab. In unseren Breiten sieht man das an den ganz schmalen, schwarzen Humusschichten auf dem Hochschwab oder der Rax.
3. Warum Regenwurmkot dem Boden guttut und Stroh egal ist
Für uns ganz klein, zählen sie im Boden zur „Makrofauna“ : die Regenwürmer. Sie leisten einiges für die Fruchtbarkeit von Böden. Sie tragen etwa eine „Losungstapete“ in ihren Gängen auf und deponieren dort auch kleine Kot-Reservoirs, erklärt Bodner. Das dient dem Nährstoffkreislauf und auch der Humusbildung. In den Kothäufchen ist organisches Material verkittet und stabilisiert. Die Würmer regen durch ihre Darmaktivität auch die mikrobielle Tätigkeit an und verteilen außerdem Mikroorganismen im Boden. Die „Tiefgräber“ unter ihnen – diese Arten gibt es tatsächlich – sorgen mit ihren Gängen außerdem für Wasserinfiltration ( Erosionsschutz ) und Wurzeltiefenwachstum ; sie bahnen den Pflanzenwurzeln quasi einen Weg in tiefere Schichten.
Die früher gängige Methode der Strohdüngung hingegen ist für die Mikroorganismen wenig hilfreich : Verholzte Substanzen sind für sie aufgrund des höheren Lignin-Gehalts schwerer zu verdauen. Ihre Lieblingsspeise ist, wie häufig auch bei uns, leicht verdaulicher Zucker. Lignin hingegen ist ein komplexes Molekül und für die Druckfestigkeit von zum Beispiel Holz verantwortlich. Deshalb bleiben etwa auch Holzhackschnitzel so lange liegen, ohne zu verrotten.
![Die schematische Darstellung zeigt die Beeinflussung des globalen Kohlenstoffkreislaufs durch menschliche Aktivitäten mit den Daten für 2009-2018. Die Konzentration von Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) in der Erdatmosphäre verändert sich. Diese Veränderung ergibt sich einerseits aus den Abgasen, die durch menschliche Aktivitäten entstehen, andererseits durch die Störung natürlicher Prozesse.](/static/5d6c42721f57dbf865d4b666bb5a9061/d8586/jaehrlicher-anstieg-co2-in-der-atmosphaere_blicke-magazin-zum-umweltbericht-land-noe.png)